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Gedenkstätte Neuengamme: „Es gibt kein Vergeben und kein Vergessen.“

Ende November – Es ist 7:00 Uhr morgens, wir sitzen im Foyer. Alle sind müde, noch weiß niemand, was wirklich auf uns zukommt. Wir fahren mit Frau Witt und Frau Rosenhagen auf Exkursion in die Gedenkstätte nach Neuengamme bei Hamburg. Nach der Fahrt mit Bus und Bahn kommen wir um etwa 11 Uhr an.

Uns erwartet eine Lesung und ein Gespräch mit der Zeitzeugin Esther Bejarano.
Esther Bejarano wurde 1924 geboren. Sie wuchs in einer jüdischen Familie auf, ihre Eltern wurden 1941 von den Nationalsozialisten ermordet. Im Alter von 18 Jahren kam sie nach Auschwitz. Weil sie Akkordeon spielen konnte, spielte sie in Auschwitz im Mädchenorchester. Jeden Tag musste sie beim Ein- und Ausmarsch der Häftlinge am Lagertor des Konzentrationslagers spielen. Diese privilegierte Arbeit rettete ihr das Leben.

Heute engagiert sie sich gegen rechts, indem sie von ihren furchtbaren Erlebnissen erzählt und in einer Rockband spielt. Plötzlich wird es still, als Esther Bejarano den Raum betritt. Als Ulrike Jensen, die das Gespräch führte und uns später das Außengelände zeigte, sie fragte, wo sie sitzen wolle, setzte sie sich mit den Worten „ich bin ja links“ auf die linke Seite.

Sie las aus der Zeit in Auschwitz aus ihrem Buch vor. Die Menschen wurden in Viehwaggons transportiert – ins Ungewisse. Die Luft war schlecht, es war unbeschreiblich eng. Viele starben auf dem Transport. Alte, Kranke, Schwangere, Menschen, die nicht laufen konnten, sie wurden auf Laster gebracht und vergast. Den anderen werde man „zeigen, was Arbeiten heißt“, sagten die Nazis. Entwürdigendes wurde ihnen angetan, sie mussten sich vor SS-Offizieren ausziehen, die Haare wurden geschoren, auf eine kalte Dusche folgte ein Heißluftraum. Niemand hatte mehr einen Namen, eine Nummer haben die SS-Offiziere auf den Unterarm tätowiert. Die Gefangenen mussten in früheren Pferdeställen schlafen, sie wurden schwach, abgemagert, krank. Viele bekamen Durchfall.

Beim Morgenappell begutachtete der Arzt die Gefangenen. Bewegte er seine Hand nach rechts, wurde der Häftling vergast, bewegte er seine Hand nach links, bekam er eine Galgenfrist.
Die Gefangenen wurden zu sinnloser Arbeit gezwungen, viel zu schwere Steine wurden zusammengetragen. „Vernichtung durch Arbeit“ war das grausame Prinzip dieses Lagers.

Esther Bejarano hatte Glück, aus der Arbeitskolonne zu entkommen. Sie meldete sich für das Mädchenorchester. Bei der Prüfung für das Häftlingsorchester spielte sie zum ersten Mal Akkordeon, eigentlich konnte sie nur Klavier spielen. Mit Glück spielte sie die richtigen Akkorde und wurde ins Mädchenorchester aufgenommen. Sie zog in eine „Funktionsbaracke“ und spielte für ein halbes Jahr im Orchester.

Als sich „arische“ Häftlinge, die nicht ermordet werden sollten, melden mussten, meldete sie sich, da ihre Großmutter christlich war. Sie kam nach Ravensbrück, wo sie sich bei Siemens bewarb und zwei Jahre lang Schalter für U-Boote montierte. Hier wurde sie zur „Arierin“ erklärt. Sie durfte Briefe und Pakete erhalten, bekam Kleidung und Essen.

Im April 1945 wurde das Lager evakuiert. Als bei dem Todesmarsch nicht mehr geschossen werden durfte, flüchtete sie. Der Krieg war vorbei. Esther Bejarano erzählt, es war die Befreiung vom Faschismus und für sie wie eine zweite Geburt.

Wer sich für die komplette, sehr bewegende Geschichte von Esther Bejarano interessiert, kann ihr Buch „Erinnerungen“ lesen. Sie wurde gefragt, wie sie dazu kam, das Buch zu schreiben, sie erzählte folgende Geschichte:

Sie hatte eine Boutique, vor der die NPD einen Infostand hatte, über den sie ihren Unmut äußerte. Es gab eine Demonstration gegen die NPD, bei der sich die Polizei auf die Seite der Partei stellte. Sie stellte sich einem Polizisten gegenüber, der ihr mit einer Festnahme drohte. Sie erzählte ihm, dass sie eine Überlebende aus dem Vernichtungslager Auschwitz sei. Als ein Anhänger der Partei meinte, alle Menschen, die von Auschwitz erzählen, seien Verbrecher, begann sie ihr Buch zu schreiben. „Die jungen Leute sollen wissen, was damals geschah; so etwas darf nicht wieder geschehen!“

Als sie in der Fragerunde auf die AFD angesprochen wird, bezeichnet sie die Partei als eine Katastrophe. Sie sieht auch Parallelen zur damaligen Zeit. „Man muss die Demokratie erhalten und für sie kämpfen“. Man müsse unbedingt wählen gehen.

Das Problem damals, sagt Esther Bejarano, war, dass das Volk geschwiegen hat. Deshalb richtete sie auch den Appel an uns, nicht zu schweigen.

Im weiteren Gespräch kritisiert sie auch die deutsche Waffenindustrie. Das Geld solle man lieber für Schulen und das Leben ausgeben.

Sie spricht auch über „Wiedergutmachungen“ in Form von Geld. Dazu sagt sie: „Es gibt kein Vergeben und kein Vergessen.“

Nach dem sehr eindrücklichen Zeitzeugengespräch wurden wir über das Außengelände geführt und haben anschließend eigenständig in der Ausstellung gearbeitet.

(Text und Fotos Jonas Prüß, Klasse 10a)