Vor wenigen Wochen fragten mich die Schülerinnen meiner Klasse, ob wir nicht gemeinsam in die Oper gehen würden. Ich war überrascht. Kenne ich das doch so, dass man als Lehrer die Schüler fragt – eigentlich mehr bittet und versucht, sie zu überzeugen, dass ein Opernbesuch doch zu einem kulturellen Ereignis gehöre, was ein jeder mal erlebt haben sollte. In meinem Fall war es anders. Nachdem wir mit der Klasse im Musikunterricht auf den Meeren des Klassenraums gesegelt waren, mit den Geistern des Holländers gefeiert und getrunken hatten und die Musik vom Fliegenden Holländer laut schallend bis in den Nachbarraum gesungen hatten, entschieden einige der Schülerinnen, sie wollen die Oper nun auch live sehen. Schließlich liefe sie gerade im Opernhaus in Hannover. Ich freute mich sehr über solch ein Interesse. Der einzige Haken: es handelte sich um Schülerinnen der sechsten Klasse, von denen die meisten noch niemals eine Oper von innen gesehen hatten. Ich war mir nicht sicher, ob sie einschätzen konnten, was es bedeuten mag, zweieinhalb Stunden still in einem Sessel zu sitzen und Richard Wagner zu hören. Ich hatte Angst, sie würden danach nie wieder ein Opernhaus von innen besuchen wollen. Kollegen und Freunde rieten mir von einem derartigen Ausflug allesamt ab.
Die Wochen danach verbrachte ich also damit, die Schülerinnen umzustimmen. Es gelang mir nicht. Sie hakten stattdessen vermehrt nach, wann wir endlich in den Fliegenden Holländer gehen würden. Mir blieb nichts anderes übrig – ich besorgte die Karten.
So traf sich am vergangenen Sonntag eine Gruppe der Hartnäckigen vor der Oper. Sie warteten gespannt auf das Outfit ihrer Lehrerin, sahen sie doch selbst alle fantastisch aus. Die Karten waren schnell verteilt, die Jacken und Taschen verstaut und die Fotosession in den Räumlichkeiten der Oper mit Freude durchgeführt.
Die Oper beginnt. Die ersten Töne werden angespielt. Leise höre ich hinter mir flüsternde, freudige Ausrufe. Sie erkennen die Musik wieder. Kurz darauf tippt eine ältere Dame meine Schülerin auf die Schulter und bittet lautstark um Ruhe. Von vorne kommt auch ein Grummeln. In einer Oper herrschen strenge Regeln. Meine Schülerinnen lernen jedoch schnell. Ich höre die nicht unterdrückbaren Freudensausrufe nun leider nur noch in wenigen Momenten. Aber die Blicke sind gebannt nach vorn auf die Bühne gerichtet. Neben mir höre ich ein lautes Fiepen eines Hörgerätes. Zwei Stunden sind bereits vergangen. Eine Schülerin kämpft mit dem Schlaf. Sitzpositionen werden immer häufiger gewechselt. Endlich kommt der Applaus, dann geht es zügig nach Hause.
Ich treffe sie am nächsten Tag. Alle erzählen: vom Bühnenbild, den Kostümen, den Sängern, der Musik, der alten Frau, die hinter uns saß, der alten Frau, die vor uns saß, den Fotos und immer wieder von der toten Kuh auf der Bühne. Die Schülerinnen und Schüler, die nicht dabei waren, fragen nach, sind neugierig. Sie wollen alles wissen. Einigen sieht man ein kleines Bedauern an, nicht dabei gewesen zu sein.
Manch eines von den Mädchen wird vielleicht nicht so schnell wieder eine Oper besuchen, aber die meisten von ihnen sind mit einem stolzen und zufriedenen Lächeln aus dem Unterricht gegangen. Sie werden sicherlich noch häufiger den Opernsaal von innen sehen. (Lucie Schäfer)